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Tumorentstehung - Wie entarten Zellen?
Tumoren können von verschiedenen Geweben ausgehen und in jeder Altersstufe auftreten.
So unterschiedlich sie sich klinisch präsentieren, so haben sie doch gemeinsame Mechanismen in
der Entstehung. Die schrittweise Veränderung der Erbinformation ist ein wichtiger Faktor,
aus dem sich viele Eigenschaften der Tumoren ableiten lassen.
Die Zellen des menschlichen Körpers sind so klein, dass sie mit dem bloßen Auge nicht
zu erkennen sind. Es ist daher schwer vorstellbar, wie viele Zellen es in der Summe eigentlich
sind. Die bisher genauesten Schätzungen geht von circa 10 hoch 14 Zellen im Körper aus.
Reihte man die Zellen eines Körpers aneinander, so entstünde eine Kette mit einer Länge
von 4 Millionen km. Die Zellen eines Menschen würden also bis zu ein hundertmal um die
Erde reichen. Dies ist jedoch nur die Anzahl der Zellen
zu einem bestimmten Zeitpunkt. Eine noch viel größere Zahl an Zellen wird im Laufe des
Lebens unbrauchbar und muss durch neue Zellen ersetzt werden. Man schätzt, dass diese Zahl
noch ungefähr tausendmal größer ist als die Zahl der Zellen an sich.
All diese Zellen entstehen durch Zellteilungen und differenzieren dann je nach Funktion aus.
Die Lebensspanne der Zellen reicht dabei von wenigen Tagen bis hin zu Jahrzehnten. Alte
Zellen gehen dann im Allgemeinen durch den geregelten Zelltod, die Apoptose, zu Grunde.
So entsteht ein Kreislauf aus Zellteilung, Differenzierung und Apoptose.
Der Prozess der Zellteilung wird durch den Zellzyklus reguliert. Wenn die Kontrolle über
den Zellzyklus verloren geht, kommt es zur ungehemmten Zellteilung und es entstehen Tumoren.
Zellzyklus Die Zellteilung folgt dem Zellzyklus, der
über mehrere Phasen dazu führt, dass sich aus einer Ursprungszelle zwei Tochterzellen
bilden. Der Zellzyklus besteht aus vier Phasen: der
G1-Phase, der Synthese-Phase, der G2-Phase und der Mitose. Das G der G1- und G2-Phase
steht für Gap, da es sich um Phasen zwischen der Mitose und der Synthese-Phase handelt.
In der ersten Phase, der G1-Phase, wächst die Zelle und es werden die notwendigen Proteine
für die DNA-Replikation synthetisiert. In der Synthese-Phase oder kurz S-Phase wird
die DNA verdoppelt. Anschließend bereitet sich die Zelle in der
G2-Phase auf die Zellteilung vor. Hierzu werden weitere Proteine synthetisiert.
Am Ende des Zellzyklus kommt es zur Mitose, der Teilung der Zelle. Nun werden die Chromatiden
an die mitotischen Spindeln angeheftet und gleichmäßig auf die Tochterzellen verteilt.
Nach der Mitose geht die Zelle wieder in die G1-Phase über und bereitet sich auf die Synthese-Phase
vor. Wenn aber keine Zellteilung erwünscht ist, kann die Zelle von hier aus auch in die
G0-Phase übertreten. Die G0-Phase ist eine Ruhephase,
in der die Zelle sich nicht weiter teilt, sondern ausdifferenziert und eine Funktion
übernimmt. Bestimmte Zellen können aus der G0 Phase auch wieder austreten und zurück
in die G1-Phase wechseln. Reguliert wird dies durch Signale von außen, beispielsweise durch
Wachstumsfaktoren.
Der Zellzyklus besitzt an bestimmen Stellen Kontrollpunkte. Diese Kontrollpunkte stellen
sicher, dass die Vorraussetzungen für die nächste Phase gegeben sind. Am Ende der G1-Phase
wird zum Beispiel überprüft, ob keine DNA-Schäden vorliegen und ob die nötigen Substrate für
die Verdoppelung der DNA vorhanden sind. Ist dies nicht gegeben, wird der Zellzyklus angehalten,
um zum Beispiel Schäden zu beheben. In der G2-Phase wird unter anderem überprüft,
ob die DNA vollständig repliziert wurde. Ist dies nicht der Fall, kann die Zelle die
Apoptose einleiten, um eine fehlerhafte Weitergabe der Erbinformation zu verhindern.
Am Ende der Mitose befindet sich ein weiterer Kontrollpunkt. Hier wird überprüft, ob die
Chromosomen im Verlauf korrekt verteilt wurden.
In der Zelle wird der Zellzyklus durch sogenannte Cycline reguliert. Sie entscheiden, ob eine
Zelle in die nächste Phase übergeht oder nicht. Sie werden zudem von außen durch Wachstumsfaktoren
beeinflusst, die diesen Prozess fördern können. Typisch für Tumorzellen ist unter anderem
eine eingeschränkte Funktion der Kontrollpunkte und eine Zellteilung, die keiner Wachstumsfaktoren
mehr bedarf.
Tumorzellen Tumorzellen können sich unbegrenzt teilen.
Ermöglicht wird dies unter anderem durch die folgenden vier Eigenschaften:
Eigenschaft: Tumorzellen benötigen kaum oder keine Wachstumsfaktoren. Das heißt sie durchgehen
die Stufen des Zellzyklus auch ohne positive Signale von außen.
Eigenschaft: Tumorzellen zeigen ein unkontrolliertes Zellwachstum. Das heißt die Kontrolle des
Zellzyklus an den Kontrollpunkten ist eingeschränkt. Zellwachstum ist wortwörtlich genommen nicht
ganz korrekt. Gemeint ist, dass sich die Zellen unkontrolliert teilen und dadurch der Tumor
wächst. Eigenschaft: Tumorzellen können sich unendlich
teilen. Im Gegensatz dazu haben nicht entartete Körperzellen eine begrenzte Anzahl an Teilungen,
die sie durchgehen können. Dies liegt daran, dass die Enden der DNA, die Telomere, bei
jeder Teilung etwas kürzer werden. Bei Tumorzellen ist oft das Enzym Telomerase aktiviert, dass
die Enden wieder verlängert und so unendlich viele Zellteilungen ermöglicht
Eigenschaft: Tumorzellen haben eine höhere Mutationsrate. Dies resultiert einerseits
aus der höheren Zellteilungsrate und andererseits daraus, dass die Kontrollpunkte im Zellzyklus
und deren Reparaturmechanismen aufgehoben sind.
Diese Eigenschaften werden von der Tumorzelle schrittweise durch Mutationen in ihrem Erbmaterial
erworben. Es sind erster Linie Gene beteiligt, die bei der Regulation der Zellteilung eine
Rolle spielen. Sie werden allgemein auch als Krebsgene bezeichnet.
Krebsgene Die an der Tumorentstehung beteiligten Gene
können in zwei Gruppen unterschieden werden: Die Onkogene und die Anti-Onkogene. Wobei
als Synonym für die Anti-Onkogene auch der Begriff Tumorsuppressorgene geläufig ist.
Onkogene sind Gene, deren unkontrollierte Aktivierung zur Tumorentstehung beiträgt.
Wird das Gen aktiviert, kommt es zu einer Förderung der Zellteilung. Onkogene sind
zum Beispiel an der Weiterleitung von Wachstumsfaktoren beteiligt. Typisch für Onkogene ist auch,
dass bereits die Aktivierung einer Genkopie ausreicht, um einen Effekt zu erzeugen. Die
Genprodukte von Onkogenen wirken also meist dominant.
Bei Anti-Onkogenen ist es hingegen ihre Inaktivierung, die zur Tumorentstehung beiträgt. Sie kontrollieren
den Zellzyklus und hemmen so die unkontrollierte Zellteilung. Wenn hier ein Allel inaktiviert
wird, reicht das andere Allel häufig noch aus, um die Funktion zu erfüllen. Erst wenn
beide Kopien ausfallen, geht der schützende Effekt verloren. Anti-Onkogene wirken also
meist rezessiv.
Tumoren sind daher eine Folge genetischer Fehlregulation. Das Risiko einen Tumor zu
entwickeln trägt damit jede Zelle prinzipiell in sich und es ist letztlich eine Frage der
Zeit und fördernder Einflussfaktoren. Dies können Schadstoffe sein, welche die DNA schädigen
oder Viren, die gezielt die Zellteilung fördern und damit ihre eigene Vermehrung unterstützen.
Die Mutationen in den Onkogenen und Anti-Onkogenen entwickeln sich in der Tumorzelle nicht in
einem, sondern in mehreren Schritten. Für die Tumorentstehung wurde deshalb die Mehrschritt-Hypothese
formuliert.
Mehrschritt-Hypothese Die Tumorentstehung beginnt mit einer Schädigung
der DNA einer Zelle. Normalerweise entfernen körpereigene Reparaturmechanismen den Defekt.
Kann der Defekt nicht mehr eingedämmt werden, kommt es zur Weitervererbung des Defekts an
die Tochterzellen. Es folgt ein Zeitraum, in dem weitere Mutationen
in Onkogenen und Anti-Onkogenen in der Zellllinie angesammelt werden. Da es aber noch nicht
zur Tumorbildung kommt, wird dieser Zeitraum Latenz genannt.
Nach der Latenz kann es zur Progression kommen. das heißt die Zellreihe ist maligne transformiert
und teilt sich ungehemmt.
Aus der Mehrschritt-Hypothese ergibt sich, dass Tumoren bevorzugt aus Zellen hervorgehen,
die eine hohe Teilungsrate haben. Dazu gehören die Epithelzellen der Haut und
der Schleimhäute. Wesentlich geringer ist die Häufigkeit der
Tumoren, die aus Zellen entstehen, welche sich im Laufe des Lebens nicht mehr teilen.
Hierzu gehören Muskel- und Nervenzellen.
Aus der Mehrschritt-Hypothese ergibt sich auch, dass die meisten Tumoren erst in höherem
Lebensalter auftreten, da sich die nötigen Mutationen erst ansammeln müssen.
Treten Tumoren bereits in jungem Alter auf, wie die akuten lymphatischen Leukämien, so
spielen in der Regel besondere Mechanismen eine Rolle. Auch wenn bereits bei Geburt eine
Mutation in einer Zellreihe vorliegt, wie es bei familiären Tumorsyndromen der Fall
ist, treten Tumoren wahrscheinlicher und im jüngeren Alter auf.
Wichtig für die Vorstellung der Tumorentstehung ist, dass es keinen Richtungssinn gibt, das
heißt die Mutationen werden nicht in einer vorgegeben Reihenfolge von der Ausgangszelle
hin zum Tumor erworben. Viel mehr kommt es zufällig zu Mutationen,
die alle Gene betreffen können. Einige dieser Mutationen betreffen die Zellteilung und die
Kontrollmechanismen. Eine solche Zelle teilt sich dann häufiger und hat gegenüber den
anderen Zellen einen Wachstumsvorteil. Interessanterweise erhöht sich bei dieser
Zelle aufgrund der erhöhten Teilungsrate und der ausgefallen Kontrollmechanismen die
Wahrscheinlichkeit einer erneuten Mutation. Die Tumorentstehung unterliegt also einerseits
dem Zufall, es ist aber auch so dass das Risiko für weitere Mutationen im Verlauf steigt
und die Entartung somit wahrscheinlicher wird.
Begriffe Der Begriff Tumor bedeutet zunächst einmal
Schwellung und kann zum Beispiel auch auf eine Entzündung zurückzuführen sein. Im
engeren Sinn sind mit Tumoren aber Neoplasien gemeint, also Zellen, die entarten und ein
unkontrolliertes Zellwachstum zeigen. Diese Tumoren können unterteilt werden in benigne
und maligne Tumoren. Gutartige Tumoren sind lokal begrenzt und
besitzen nicht die Fähigkeit der Infiltration oder Metastasierung. Es ist aber keineswegs
so, dass gutartige Tumoren nicht gefährlich werden können. Allein durch ihre Ausdehnung
können sie zum Beispiel lebenswichtige Gefäße oder die Luftröhre einengen.
Gutartige Tumoren, die von Drüsen- und Schleimhautepithel ausgehen, werden Adenome genannt. Ist das
Ursprungsgewebe Plattenepithel oder Urothel, so werden die abgeleiteten Tumoren als Papillome
bezeichnet. Bösartige Tumoren der Epithelzellen werden
hingegen als Karzinome bezeichnet. Gehen die Tumoren vom Bindegewebe, dem Mesenchym
aus, so handelt es sich um sogenannte Sarkome. Die Zellen des Blutes stammen genau genommen
auch vom Mesenchym ab. Sie stellen aber eine Sonderform dar, da sie im Gegensatz zu den
anderen Tumoren nicht-solide sind. Eine maligne Entartung der blutbildenden Zellen wird als
Leukämie oder als Lymphom bezeichnet.
Quiz Welche Aussagen sind richtig, welche falsch?
Gewebe mit einer höheren Teilungsrate haben ein größeres Risiko zur Entartung.
Im Unterschied zu Karzinomen sind Adenome nicht lebensbedrohlich.
Bei Onkogenen reicht bereits die Aktivierung einer Genkopie aus, sie wirken also meist
dominant. Die Tumorentstehung ist kein linearer Prozess
und die Zellen unterliegen einer Selektion. Tumorzellen benötigen viele Wachstumsfaktoren,
um ihre hohe Teilungsrate aufrecht zu erhalten.